Genuas außergewöhnliche Struktur

Wer sich dem Genueser Hafen, dem Porto Antico, wie die allermeisten Besucher (mit Ausnahme der wachsenden Zahl an Kreuzfahrttouristen) vom Zentrum der Stadt aus nähert, muss zuerst durch ein Gewirr enger, teils steil abfallender Gassen und Stiegen hinabsteigen, ehe sich, als würde man aus einem Labyrinth ins Freie treten, endlich der Blick in die Weite öffnet. Vor einem liegt ein lichtdurchfluteter, gepflasterter Platz, über dem die Stadtautobahn auf bunt bemalten Betonpfeilern schwebend den Himmel zu teilen scheint, dahinter die Kräne des Hafens und zwischen imposanten Bauwerken schließlich – das Meer.

Hafenpromenade, rechts das Acquario di Genova

Stadtautobahn und Palazzo San Giorgio, heute Sitz der Hafenbehörde

Diesen beeindruckenden Ausblick haben wir vor allem dem italienischen Architekten Renzo Piano zu verdanken, der zu Beginn der 1990er-Jahre anlässlich der Expo beauftragt wurde, das zu dem Zeitpunkt heruntergekommene Industriehafenareal zu revitalisieren. Neben dem größten Aquarium Europas, dem Acquario di Genova und der Casa della Musica di Genova steht hier ein weiteres interessantes Gebäude, eine ehemalige Werft, in der zu Zeiten der Stadtrepublik Galeeren gebaut wurden. Im Zuge der Ernennung Genuas zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2004 wurde sie, ebenfalls von Renzo Piano, zum Galata – Museo del Mare umgestaltet. Dieses Meeresmuseum widmet sich nicht nur dem Wirken des wohl bekanntesten Sohnes der Stadt, Christoph Kolumbus, sondern auch dem Leben zur See ganz allgemein, dem Seehandel und dem Schicksal der vielen Flüchtlinge, die Italien bis weit ins 20. Jahrhundert von hier aus in Richtung Nord- und Südamerika verlassen mussten.

Westansicht des Galata - Museo del Mare

Nordansicht des Galata - Museo del Mare

Von der stadtzugewandten, glasgeschützten Terrasse des Museums kann man die außergewöhnliche Struktur der Stadt, die sich, den Berghang entlang nach oben verschachtelt, grob in drei Ebenen gliedert, gut erkennen.

Blick vom Galata – Museo del Mare auf Casa della Musica di Genova und Altstadt

Da ist zunächst der erwähnte Hafen, mit seiner großzügigen Promenade, den Palmen, den Flaneuren und der immer wahrnehmbaren Autobahn. Dahinter dann die bunte Häuserfront der Altstadt, in die einzudringen immer noch ein Wagnis scheint. Die Gassen, oft nicht breiter als zwei Armlängen, sind tagsüber so finster wie nachts und (bis auf die wenigen, beschilderten Durchstiege für Touristen) entvölkert – wenn man von den Prostituierten absieht, die in den noch dunkleren, noch engeren Gassen auf Kundschaft warten. Nach wie vor finden sich hier die dem Klischee eines Hafens entsprechenden Läden und Lokale, man blickt im Vorübergehen in südafrikanische Frisiersalons, marokkanische Stoffgeschäfte, chinesische Elektronikshops und italienische Gemischtwarenläden.

Schließlich gelangt man in den höheren, wenn man so will im ersten Stock gelegenen, großzügigeren Stadtteil, in dem die weiten Plätze, mit ihren Brunnen und Fontänen, die Oper, der Palazzo Ducale und die mondänen Einkaufsstraßen liegen, allen voran die Piazza de Ferrari und die Via XX Settembre.

Auf dieser Ebene befinden sich auch die bekannten Palazzi aus dem 16. Jahrhundert, die, einer an den nächsten gereiht, in der Via Garibaldi und der Via Balbi stehen und welche, ein paar Meter höher als die darunterliegenden Gassen, durch üppige Gärten verbunden sind, über die man von einem Palazzo zum nächsten gelangen konnte, ohne je einen Fuß auf die Gasse setzen zu müssen und von denen man vermutlich hinabblickte auf die unteren Bevölkerungsschichten.

Ein drittes, wiederum ganz anderes Stadtbild, zeigt Genua im obersten Geschoß, das sich beinahe bis zum Torre Specola hinaufzieht, dem Hinrichtungsplatz aus dem frühen 19. Jahrhundert und höchsten Aussichtspunkt über der Stadt. Hier, zwischen wildwuchernden Wegen und grasbewachsenen Stiegen, die einen Grad stadtpolitischer Vernachlässigung erkennen lassen, die bei mir für eine ganz bestimmte Art Wohlbefinden sorgt, stehen die meisten Wohnhäuser - mehrstöckige Bauten aus der Gründerzeit, dem Faschismus und den prosperierenden 1960ern.

Und auch von hier aus, als wäre es oberste Priorität der Stadt, ihre Besucher zu überraschen, tun sich immer wieder, aus dunklen Ecken, zwischen Häuserfronten und Dachschrägen, unerwartete Ausblicke auf. Stets scheint dabei der Hafen, mit seinen Kränen und Schiffsmasten, erster Blickfang, doch dann schweift das Auge über das Meer, bis zum Horizont, der schon Christoph Kolumbus in die Ferne gerufen haben mag.

Blick vom Castello d’Albertis auf den Genueser Hafen

Zurück
Zurück

Jesús Malverde - Der Heilige der Drogenhändler

Weiter
Weiter

Joseph Haydns verschwundener Schädel