Todesdrohung

Der Mann hämmerte mit derartiger Vehemenz gegen die Türe, dass wir befürchteten, sie würde der Wucht seiner Schläge nicht lange standhalten. Mein Kollege und ich starrten einander panisch in die Augen. Was sollten wir tun? Es gab hier keine Telefon (Mobiltelefone waren noch nicht Allgemeingut), um aus dem Fenster zu springen lag das Studio zu hoch und die Chance, dass ein Passant unten durch das enge Gässchen kommen würde, den wir rufend um Hilfe hätten bitten können, standen um diese Zeit schlecht. Es war zwischen drei und vier Uhr morgens.

Alles hatte damit begonnen, dass es an der Türe des Instituts, das im dritten Stock eines Gründerzeithauses in einem der inneren Wiener Bezirke angesiedelt war, geläutet hatte. Ich hatte arglos geöffnet und war einem schwer atmenden Mann gegenüber gestanden. An sein Gesicht habe ich keinerlei Erinnerung, aber ich weiß noch, dass er stark nach Alkohol roch. Er fragte, ob ich eigentlich wisse, wie spät es sei. Während ich auf die Uhr blickte, um seine Frage möglichst wahrheitsgemäß zu beantworten, hatte er mich schon nach hinten gestoßen und geschrien: „I' bring' euch alle um!“ Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, griff er sich eine der zahlreich herumstehenden Bierflaschen, schlug damit nach mir und verfehlte mich nur um Haaresbreite. In dem beengten Vorraum, der nicht mehr als ein paar Quadratmeter maß, begann nun eine regelrechte Verfolgungsjagd – ich flüchtete, über die alte Institutscouch springend, vor den Schlägen des Mannes, der offensichtlich wahnsinnig und zum Äußersten entschlossen war. Mein Kollege, der, durch den Lärm aufgeschreckt, aus dem Studio gekommen war, hatte sich inzwischen wieder durch den engen Gang, der zu den Tonstudios, den Musik- und Unterrichtsräumen führte, zurückgezogen und hielt mir die rettende Türe auf, durch die ich im letzten Moment schlüpfen konnte. Wir sperrten ab. Zwischen den blinkenden technischen Geräten, der Bandmaschine und dem riesigen Mischpult, machte sich eine so gespenstische (und für ein Tonstudio ungewöhnliche) Stille breit, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte. Mein Puls raste.

Das Tonstudio war für gewöhnlich tagsüber zu Unterrichtszwecken besetzt und unter uns Studierenden war es üblich, die Nachstunden für Musikproduktionen zu nutzen. Man musste sich rechtzeitig anmelden und teils lange Wartezeiten in Kauf nehmen, ehe man die Möglichkeit bekam, endlich Eigenes zu produzieren. Mehr als einmal war uns eingebläut worden, nicht darauf zu vergessen, die Fenster zu schließen, offensichtlich gab es im Institut eine traurige Tradition an polizeilichen Anzeigen wegen nächtlicher Ruhestörung. Wir hatten seit den frühen Abendstunden Musik gemacht – und das Fenster stand einen Spalt weit offen, das hatten wir tatsächlich übersehen.

Nun saßen wir in der Falle. Draußen war inzwischen Ruhe eingekehrt. War der Mann gegangen? Wir beratschlagten flüsternd, ob es an der Zeit sei, die Türe vorsichtig zu öffnen. Ich hatte meine Hand schon an der Klinke, als erneut ein Schlag donnerte. Der Mann hatte wieder begonnen, auf die Tür einzuwirken, nicht nur mit Fausthieben diesmal, sondern offensichtlich auch mit Tritten. Irgendwann kehrte wieder Ruhe ein. Der Mann hatte inzwischen wohl die Sinnlosigkeit seines Vorgehens erkannt, denn er wechselte die Taktik, indem er dazu überging, uns zu schmeicheln: „Kommt’s raus, Burschen, ich tu' euch nichts.“ Den Teufel taten wir! Kurz darauf ließen seine Schläge die Tür wieder erzittern. Die Flüche und Hassausdrücke, mit denen er uns bedachte, nahmen an Intensität weiter zu und wir beschlossen, lieber noch eine Weile zuzuwarten. Nach einigem Hin und Her, nach Freundschaftsangeboten, die sich mit Todesdrohungen abwechselten, blieb es schließlich still.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir ausharrten, es war jedenfalls längst hell geworden, als wir endlich den Mut fanden, die Tür zu öffnen. Draußen war alles ruhig, der Gang menschenleer. Im Vorraum schien, abgesehen von den umgefallenen Bierflaschen und ein paar zu Boden geschleuderten Sitzpolstern, alles unverändert. Auch im Stiegenhaus war kein Geräusch zu hören. Der zornige Mann war verschwunden. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Was aus dem Musikstück geworden ist, das wir damals produziert haben, weiß ich nicht. Obwohl ich dadurch diese Angst vor dem Umgebracht-Werden vielleicht wieder empfinden würde, die ich damals – zugegeben nicht ganz unschuldig – kennen lernen musste, würde ich es gerne wieder einmal hören.

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Der Exorzismus

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Die Frau im Fenster