Lockdown Winter Nights

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“Ich habe mein Leben lang Angst gehabt. Angst vor Stille und Dunkelheit. Außerdem kann ich schon mein Leben lang schlecht einschlafen. Ich brauche nur irgendein Geräusch zu hören, das ich mir nicht erklären kann, und schon ist es Essig mit dem Schlafen. Trotzdem habe ich noch nie richtig darüber nachgedacht, was sich nachts draußen abspielt.”

Oben ist es still, Gerbrand Bakker

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Inzwischen ist es Winter und wieder verharren wir im Lockdown. Meine nächtlichen Ausflüge sind längst zur Gewohnheit geworden, die Suche nach der Form im Dunkeln Routine. Mein Blick ist mittlerweile kritischer, schwieriger zu begeistern, vielleicht aber auch präziser – er muss es wohl auch sein, denn die winterliche Nacht ist weniger opulent, nicht so verführerisch, duftend, einladend, wie die Frühlingsnacht, die in LOCKDOWN SPRING NIGHTS beschworen wurde. 

Es gibt kaum noch Farben, die von der Straßenbeleuchtung freigelegt werden könnten, mit Ausnahme der Nadelhölzer, des immergrünen Blattwerks, vereinzelter Beeren und vergessener Äpfel. Die Winternacht ist karg, aber ist sie auch abweisend? Im Gegenteil.

Entgegen der ersten Erwartung ist sie – zumal dann, wenn Schnee liegt – bedeutend heller. Wenn das Licht der Stadt von den tief hängenden Wolken reflektiert und vom schneebedeckten Boden zurückgeworfen wird, gibt es keine wirkliche Finsternis mehr. Die Winternacht umhegt den Spaziergänger freundlicher, gutmütiger, ja heimeliger als die Frühlingsnacht. Mögen die Wintertage finster sein, die Winternächte sind es nicht. Ähnlich verhält es sich mit der Kälte: Fröstelt es den Spaziergänger in mancher Frühlingsnacht, nun, im Winter, ist er wohlig warm eingepackt.

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So ist LOCKDOWN WINTER NIGHTS mehr als die bloße Weiterführung dessen, was im Frühling begonnen wurde. Hier geht es weniger um das Entdecken des Schönen im Düsteren, sondern um das Umkehren von scheinbar Erwartbarem, Erwartetem; es geht um eine Kehrtwendung ins Gegenteil – das Finstere wird hell, das Monochrome bunt. Fotografisch wird dieser Idee durch teils drastische Farbverschiebungen sowie die Umkehrung mancher Bilder ins Negativ Rechnung getragen.

Und was ist mit der Angst, von der Gerbrand Bakker schreibt? Auch hier eine Wende: Sie verschwindet, wie alle Ängste, in dem Augenblick, in dem man sich ihr stellt. In dem man in die Nacht eintaucht, die einen wider Erwarten freundlich empfängt. Entsprechend endet Gerbrand Bakkers Roman Oben ist es still:

“Ich weiß, dass ich aufstehen muss, dass es in dem Gewirr von Wegen und ungepflasterten Straßen jetzt schon dunkel ist, wegen der Wäldchen aus Kiefern, Birken und Ahornbäumen. Aber ich bleibe ruhig sitzen. Ich bin allein.”

Auch darum geht es in LOCKDOWN WINTER NIGHTS: Um das Alleinsein. Durchwandere ich die Frühlingsnacht gerne zu zweit, bleibe ich in der Winternacht bevorzugt alleine.

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“I have been afraid all my life. Afraid of silence and darkness. Besides, I‘ve had trouble falling asleep all my life. I only need to hear some noise that I can‘t explain, and that‘s it for sleeping. Still, I‘ve never really thought about what goes on outside at night.”

The Twin, Gerbrand Bakker

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It is winter now and once again we‘re stuck in lockdown. My nocturnal excursions have long become a habit, the search for shape in the dark a routine.

Meanwhile my gaze has become more critical, more difficult to inspire, but maybe also more precise – it has to be, because the winter night is less opulent, not as seductive, fragrant, inviting as the spring night conjured up in LOCKDOWN SPRING NIGHTS.

There are hardly any colors left to be exposed by the street lights, except for the conifers, the evergreen foliage, scattered berries and forgotten apples.

The winter night is barren, but is it also unwelcoming? Not at all!

Contrary to initial expectations, it is significantly brighter, especially when there is snow. When the light of the city is reflected by the low-hanging clouds and bounces off the snow-covered ground, there is no longer any real darkness.

The winter night envelops the walker more kindly, more good-naturedly, even more homelike than the spring night. May the winter days be dark, the winter nights are not. It is similar with the cold: If the walker shivers on some spring nights, now, in winter, he is comfortably wrapped up warm.

Thus LOCKDOWN WINTER NIGHTS is more than a mere continuation of what was begun in spring. This is less about discovering the beautiful in the gloomy, but about the reversal of the seemingly expectable, the expected; it is about turning into the opposite – the dark becomes bright, the monochrome colorful.

Photographically, this idea is taken into account through sometimes drastic color shifts and the reversal of some images into negative.

And what about the fear that Gerbrand Bakker writes about?

Here, too, a turning point: like all fears, it disappears the moment you face it. By immersing yourself in the night that, contrary to expectations, welcomes you in a friendly manner. Gerbrand Bakker’s novel The Twin ends accordingly:

“I know that I have to get up, that it is already dark now in the maze of paths and unpaved roads, because of the groves of pines, birches and maples. But I sit quietly. I am alone.”

This is also what LOCKDOWN WINTER NIGHTS is about: being alone. If I like to wander through the spring night in pairs, I prefer to stay alone in the winter night.

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